Katsuki Sekida beschreibt, wie durch die 3 Nen Bewusstsein entsteht. Was bedeutet das für den Führungsalltag?
Katsuki Sekida war ein Zen-Meister, der von 1893 bis 1987 gelebt hat. Er hat sich sehr mit physiologischen und psychologischen Vorgängen im Menschen bei der Zen Meditation beschäftigt. In seiner Theorie der 3 Nen zeigt er sehr anschaulich, wie unser Bewusstsein und unsere Ich-Entwicklung entstehen. Welche Bedeutung die 3 Nen für unseren Führungsalltag haben, wird hier erläutert.
Was ist ein Nen?
Aus physiologischer Sicht ist ein Nen ein Gedankenimpuls, ein elektrischer Strom, der in unserem Nervensystem von einem Ort zu einem anderen läuft. Die Gesamtheit aller Nens erzeugen unsere Wahrnehmung, unsere Erfahrungen und schließlich das, was wir unser Ich nennen.
Wie durch die 3 Nen Bewusstsein entsteht
Über unsere Sinnesorgane sind wir mit der uns umgebenden Welt verbunden. Wir sehen, riechen, fühlen, hören, schmecken. Am Beispiel des Sehens entsteht auf der Netzhaut des Auges ein Bild wie auf einer Leinwand, das in der Netzhaut in elektrische Impulse umgewandelt wird. Diese elektrischen Impulse werden über die Sehnerven ins Sehzentrum im hinteren Teil unseres Großhirns geleitet. Bis hierher handelt es sich also um eine völlig reine Wahrnehmung. Dies ist das erste Nen.
Das bleibt nicht unbemerkt. Wir werden uns des ersten Nens bewusst. Im limbischen System, einem entwicklungsgeschichtlich alten Teil unseres Gehirns, entstehen Gefühle über die Wahrnehmungen. Wir bewerten unsere Wahrnehmungen, kleben sozusagen Etiketten auf. Dies mag ich, jenes mag ich nicht. Wir teilen die Welt ein in gut und böse. Gleichzeitig werden die Wahrnehmungen untereinander verknüpft. Das ist wichtig, damit wir nicht umfallen, wenn wir den Kopf bewegen und das Gesehene wie ein Film an uns vorbei läuft. Dies alles entspricht dem zweiten Nen.
Erst jetzt kommt das Großhirn ins Spiel. Die Wahrnehmungen werden mit unserem Gedächtnis, Sprachzentrum, Sprechzentrum, unserer Intelligenz und Kreativität, den Zentren für emotionale Kontrolle, der Körperempfindung und den motorischen Zentren, die unsere Bewegungen und Körperhaltung ermöglichen, verknüpft und abgeglichen. Dies alles entspricht dem dritten Nen.
Strom des Bewusstseins und Ich-Bildung
Alle Nens sind untereinander verbunden. Auf jedes erste Nen folgt ein zweites und ein drittes. Da wir aber nicht nur eine Wahrnehmung zur Zeit haben, sondern ganz viele, laufen viele dieser Nen-Ketten gleichzeitig ab und sie sind miteinander vernetzt. So entsteht aus jedem dritten Nen immer auch ein neues erstes und zweites Nen. Denn wir nehmen auch unser Denken wahr und diese Wahrnehmung erzeugt eine neue Nen-Kette von erstem, zweitem und drittem Nen. Alles zusammen bildet eine fortlaufenden Strom von Nen-Ketten, die dazu führen, dass wir unserer selbst und der Welt um uns herum bewusst werden.
Von Geburt an und ganz sicher auch schon davor setzt dieser Bewusstseinsstrom ein. Aus unseren Wahrnehmungen, der Bewertung dieser Wahrnehmungen, unseren daraus folgenden Handlungen und den Reaktionen der Umwelt entstehen unsere Erfahrungen und letztlich das, was wir als unser Ich bezeichnen. Kurz: Dies bin ich und jenes ist die Welt um mich herum. Durch Erfahrungen bestätigt und verstetigt sich das Bild von uns selbst und der Welt. Es ist wie bei Online-Käufen. Die Plattformen bieten uns schließlich nur noch eine eingeschränkte Auswahl an Artikeln an, die unserem Profil entsprechen. Dies ist ein sicherer Weg, ein in seinen Ansichten eingeschränkter, wenig flexibler, letztlich granteliger alter Mensch zu werden.
Interessant ist dabei auch, dass uns immer nur das stärkste dritte Nen richtig bewusst wird. Alle schwächeren laufen unterbewusst ab, entfalten jedoch ebenfalls ihre Wirkung in diesem Prozess. Unbewusste Nen-Ketten bauen einen Druck auf und können zu eruptivem Verhalten führen.
Welche Bedeutung hat das für unseren Führungsalltag?
Unser Führungsalltag ist bestimmt durch Gespräche mit Mitarbeitenden und Geschäftspartnern. Wenn wir uns in einem wichtigen Gespräch befinden, ist es meist von Vorteil, die Situation zunächst so wahrzunehmen, wie sie wirklich ist. Durch den ständigen Ablauf und die Wechselwirkung der drei Nen tun wir das nicht wirklich. Vor allem das dritte Nen sorgt dafür, dass wir jede Wahrnehmung mit unserer gesamten Lebensgeschichte abgleichen und kommentieren. Da nur das jeweils stärkste dritte Nen in unsere Aufmerksamkeit springt, spielt sich der Großteil der dritten Nens in unserem Unterbewusstsein ab, entfaltet dort jedoch auch seine Wirkung. Wir nehmen die Gesprächssituation also nicht objektiv wahr, sondern durch das Filter unseres Bewusstseinsstroms. Oder pointiert: Wir nehmen nur das wahr, was wir wollen. Wir sind nicht wirklich offen, wenn wir eine Gesprächssituation so wahrnehmen, sondern unterliegen unseren Vorgeschichten und Vorurteilen.
Wir kennen das alle aus dem Alltag: Mit den Jahren in einem Betrieb oder in Geschäftsbeziehungen kennt man seine Pappenheimer. Schon ist die Offenheit im Umgang miteinander beschränkt. Oder Worte, Gesten oder die Kleidung des Gegenübers erinnern uns an angenehme oder unangenehme Erfahrungen aus der Vergangenheit. Wird uns dies bewusst, besteht die Chance, möglichst professionell gegenzusteuern. Meistens laufen solche Prozesse jedoch unbewusst ab. Dann sind wir Opfer unseres bisher im Leben erworbenen Ichs.
Zen Meditation eröffnet hier eine Chance
In der Zen Meditation üben wir anzuhalten. Wir trainieren, auf der Ebene des ersten Nens, also der reinen, unkommentierten und unverstellten Wahrnehmungen, innezuhalten. Wir trainieren, die Welt so wahrzunehmen, wie sie ist. Die Etiketten fallen ab.
Dies eröffnet einen wunderbaren Raum. Bewusstseinsströme sind veränderbar. Wir erkennen unsere eingefahrenen Muster und sind erst dadurch überhaupt in der Lage, Situationen wirklich offen wahrzunehmen. Erst dadurch können wir Neues ausprobieren, neue Erfahrungen machen, flexibel auf Veränderungen reagieren, das bisher von uns Ungedachte denken und Neues erfinden. Wir müssen nicht so bleiben, wie wir sind. Das ermöglicht Entwicklung und Wachstum.
Diese Möglichkeit haben wir jederzeit, in jedem Moment, solange unser Nervensystem und unser Denkorgan funktionieren. Jederzeit haben wir die Möglichkeit, uns und anderen diesen wunderbaren Raum zu öffnen. Wir müssen nicht immer alles glauben, was wir denken. Je länger und intensiver unser Trainingsweg ist, desto agiler und schneller werden wir. Es ist wie bei jedem Training.
Jedes Seminar des Zen Leadership Way öffnet dabei einen anderen Aspekt:
Zum Buch „Zen Training“ von Katsuki Sekida:
https://www.zvab.com/buch-suchen/titel/zen-training/autor/katsuki-sekida/
Beitrag von Dr. med. Michael Neuber
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