Kann man ohne Ego führen? Eine herausfordernde Frage.
Betrachtet man moderne, als erfolgreich bewertete Führungseigenschaften, aber auch überlieferte Tugenden von Führern, ergeben sich spannende Einsichten.
Die egozentrierten charismatischen Bannerträger auf ihren Bananenkisten, sind langfristig keineswegs die erfolgreichsten Führer.
Hinweise aus dem „Dao de Jing“
Aber was bedeutet „Führen ohne Ego“? Es bedeutet: Führen aus der Ebene des Nicht-Handelns, eigentlich aus der Ebene des Nicht-Agierens. Ein erster kleiner Hinweis.
Das älteste Handbuch für Führungskräfte, das „Dao de Jing„, gibt hier sehr eindeutige Handlungsanweisungen. Schon der Titel ist Programm: „Textsammlung über den Weg der Tugend“.
Tugendhafte Führung
Das klingt ziemlich verstaubt. Die Werte, die darunter subsummiert werden, sind unserer Zeit sehr angemessen. Wie etwa: Führen mit Demut, Selbstlosigkeit, Güte. Liest man Collins oder Laloux im Hinblick auf diese innere Haltung, kann man leicht erspüren, dass diese Werte sich dort verbergen.
Es geht eben nicht um ein intellektuelles Verständnis, die super genaue Wirtschaftsanalyse, sondern um das gelebte Vorbild: Die Zurücknahme des Selbst, das Sein im Augenblick. „Also auch der Berufene: Er setzt sein Selbst hintan und sein Selbst kommt voran. Er entäußert sich seines Selbst, und sein selbst bleibt erhalten… Weil er nichts Eigenes will, darum wird sein Eigenes vollendet.“ (Dao de Jing 7). Nicht führen durch Aktionismus, sondern durch gelassenes Sein.
Die Intention setzen, die innere Ausrichtung, dies beinhaltet sehr wohl, die analytischen Rahmenbedingungen zu kennen; aber sie bestimmen das notwendige, das richtige Handeln nicht. Sie sind ein Puzzleteil unter vielen. „… viele Worte erschöpfen sich daran. Besser ist es das Innere zu bewahren“ (Dao de Jing 5). „Wenn die Ego-getriebene Entscheidung in den Hintergrund tritt, dann wird die Welt von selber recht“ (Dao de Jing 37). Der Berufene häuft keinen Besitz auf, je mehr er für andere tut, desto mehr besitzt er, je mehr er anderen gibt, desto mehr hat er.
Foto: Wikicommons
Die innere Ausrichtung
Es sind weniger die Worte, die zählen, sondern die innere Ausrichtung. Diese non-verbale Ebene der Kommunikation kann nur funktionieren, wenn man in jedem Augenblick vollkommen präsent und authentisch ist. Nicht im Sinne von leeren Managementfloskeln, sondern im tiefsten Sinn.
Genau dort liegt auch der Haken, die Schwierigkeit, die wunderbare Führungswelt des Dao de Jing zu leben.
Notwendigerweise bedeutet dies vollkommen zu erkennen: wer bin ich wirklich und was ist diese Welt. Nicht als kleines Blitzlicht auf dem Meditationskissen, sondern als Sein in der Welt.
Würde ein Buddha ein Unternehmen oder einen Staat führen? Wir wissen es nicht. Es gab jedoch Politiker die Taoistische Meister waren. Der buddhistische König Ashoka hat sein komplettes Reich umstrukturiert.
Die ersten Schritte hin zu einer wahrhaftigen Haltung der Führung sind glücklicherweise einfach.
Wer ärgert sich?
Innehalten und erkennen: Ich ärgere mich. Das sagt schon viel aus. Ich bin es der sich ärgert, gleichgültig was diesen Ärger ausgelöst hat, ich bin es selbst. Lasse ich diesen Ärger los, denn das vermag ich (Epiktet), dann habe ich einen kleinen Zipfel des Egos hinter mir gelassen. Vielleicht nur für eine kurze Zeit. Es hilft, immer wieder die eigenen Handlungen und Gedanken zu betrachten: Was macht das Ego da? Wer denkt? Bin ich meine Gedanken? Oder ist da noch etwas anderes? Schrittweise aus den antrainierten Coping-Mechanismen des Alltags aussteigen. Die ganze Welt wird so zum Übungsfeld, mit allen Freuden, Widrigkeiten und Hindernissen, Malaisen und Ungereimtheiten, um aus dem Ego immer wieder und wieder auszusteigen. Sich fragen: Ist es heilsam? Wer handelt? Bis das Ego müde, frustriert oder wütend aufgibt.
Auf diesem Weg, im Scheitern, im Aufstehen im Weitergehen verwandelt sich der Führungsstil. Verschwinden festgefügte Glaubenssätze, wird die permanente Veränderung zum eigentlichen Weg. Werden die Sätze des Dao de Jing erlebbar. Zu erfahren, dass Führung nicht bedeutet auf die Bananenkiste zu klettern, um zu verkünden was richtig ist, sondern eine weise und demütige Haltung der Führung zu entwickeln. Den Dingen Entwicklungsraum zu gewähren. Gar nicht einfach in unserer Welt der schnellen Entscheidungen und Zielvereinbarungen.
Führen ohne Ego
Dann zu erkennen, dass es viele Wege gibt, viele Ideen und man nicht vorschnell Urteile fällen sollte (Shinmen Musashi), dass die kreative, neue Idee den Raum des Non-Ego in der Führung braucht.
Das Ego ist hart und stark und hilft beim Überleben, das Non-Ego ist fließend und schwach und ist das Leben. „Das Allerweichste auf Erden überholt das Allerhärteste auf Erden. Das Nichtseiende dringt auch noch ein in das, was keinen Zwischenraum hat. Daran erkannt man den Wert des Nicht-Handelns. Die Belehrung ohne Worte, den Werte des Nicht-Handelns erreichen nur wenige auf Erden.“ (Dao de Jing 43)
Mit jedem Atemzug, mit jedem Schritt, mit jeder Entscheidung diesem Ziel ein bisschen näherkommen und so zum fließenden Wasser der Veränderung werden.
Ein wundervoller, abenteuerlicher Weg. Ein Zen-Weg im Leben, Führen ohne Ego…
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Blogbeitrag von Prof. Dr. Angela Geissler, Meditationslehrerin, Ärztin und Autorin
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Zum Thema: Wie wir herausfinden, wofür es sich zu leben (und zu arbeiten) lohnt – Ikigai.
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