Selbstmitgefühl zu entwickeln, lohnt sich. Wieso wir dadurch nicht nur uns selbst unterstützen, sondern auch kraftvoller führen können.
Ob Führungskraft oder nicht… viele Menschen kennen es: Läuft im privaten oder beruflichen Alltag mal etwas nicht wie geschmiert, ist es wahrscheinlich, dass wir uns für unsere Schwächen und Mängel kritisieren. Auf scheinbare Misserfolge und Fehltritte reagieren wir nicht selten mit innerlich abwertenden Kommentaren und suchen nach Strategien, um das subtile Gefühl der Unzulänglichkeit auszulöschen. Uns Fehler und Laster zu verzeihen, fällt schlichtweg nicht leicht.
Selbstkritik, Abwertung und Verurteilung im Umgang mit der eigenen Person führen jedoch langfristig in den klassischen Teufelskreis von „höher, weiter, schneller“ und lassen den Stresspegel steigen. Zudem fällt uns auch der herzliche Umgang mit unseren Mitmenschen deutlich schwerer, wenn wir Strenge und Härte uns selbst gegenüber walten lassen. Schenken wir uns jedoch in schwierigen Zeiten Milde, Mitgefühl, Verständnis und Fürsorge steigt unsere Lebenszufriedenheit sowie das emotionale Wohlbefinden (Neff, 2003, 2007; Shapira & Mongrain, 2010; Gilbert, 2010).
Selbstmitgefühl: Selbstverachtende Verhaltensweisen transformieren
Liegt es da nicht nahe, einen Weg zu finden, liebevoller mit sich umzugehen? Eine innere Haltung, die es uns ermöglicht, sich mit der eigenen Unvollkommenheit zu versöhnen? Vielleicht sogar Freundschaft mit jenen Seiten der Persönlichkeit zu schließen, die man nicht mag?
Diese und weitere Fragen rund um Themen wie Selbstliebe, Eigenakzeptanz und Wertschätzung der eigenen Person beantwortet die amerikanische Psychologie-Professorin Kristin Neff in ihrem Buch „Selbstmitgefühl“ (2011). Ausführlich beschreibt sie, wie wir lernen können, selbstverachtende Verhaltensweisen zu transformieren… hin zu einer heilsamen Lebenshaltung, die von Mitgefühl und Nachsichtigkeit gekennzeichnet ist.
Als Selbstmitgefühl umschreibt Kristin Neff nicht nur die Fähigkeit, Gefühle wie Wärme und Freundlichkeit zu aktivieren und auf sich selbst zu richten, sondern auch die Möglichkeit, sich seine Grenzen und Schwächen zu vergeben und sich als Mensch zu akzeptieren. Eine mitfühlende innere Einstellung der eigenen Person gegenüber ist insbesondere im Erleben von negativen Emotionen von Relevanz, denn durch sie können wir trotz herausfordernden Situationen wohlwollend, tolerant und geduldig mit uns umgehen (Neff, 2011).
Drei Kernkomponenten von Selbstmitgefühl:
Achtsamkeit: Hierbei geht es darum, die Aufmerksamkeit darauf das zu richten, was ist und den jeweiligen Umständen Anerkennung zu schenken, ohne etwas verändern, bewerten oder verurteilen zu wollen.
Verbundenheit: Unter dieser Komponente wird verstanden, sich mit allen Menschen verbunden zu fühlen. Leid, Versagen und Imperfektion sind Teile des menschlichen Erlebens und wir können uns unseren Mitmenschen, dadurch dass sie ebenso unvollkommen und verletzlich wie wir, nahe fühlen.
Selbstfreundlichkeit: Unter diesem Punkt ist zu verstehen, liebevoll und akzeptierend mit sich selbst umzugehen, so wie ein guter Freund es tun würde. Insbesondere in Zeiten widriger Umstände ist es elementar, Sympathie und Verständnis für sich aufzubringen, sowie sich selbst zu trösten.
Selbstmitgefühl ist nicht gleichzusetzen mit Selbstmitleid:
Selbstmitgefühl basiert im Gegensatz zu Selbstmitleid auf dem Gefühl der Verbundenheit mit allen Menschen, denn Kummer und Schmerz wird als Teil der menschlichen Existenz und als verbindendes Element zwischen allen Wesen verstanden. Selbstmitleid hingegen wird als Isolation erfahren und zwar im starken Kontrast zwischen dem eigenen Erleben und dem anderer. Das Empfinden von Selbstmitleid zeichnet sich demnach durch das Gefühl der Abgeschnittenheit von dem sozialen Umfeld aus. Ganz im Sinne von „Nur mit geht es schlecht – die anderen haben es so viel besser“ (Neff, 2011).
Mit Selbstmitgefühl kraftvoller Führen:
Führungskräfte, die sich selbst gegenüber mitfühlend sind, zeigen mehr Mitgefühl mit ihren Mitarbeitenden, KollegInnen und Vorgesetzten. Dadurch verbessern sich die zwischenmenschlichen Kontakte am Arbeitsplatz und die innerbetriebliche Kooperationsbereitschaft steigt. Eigene warme Beziehungsqualität wirkt sich ebenso positiv auf die Leistungsfähigkeit, Motivation und Ausdauer der Teammitglieder aus.
Weisen Führungspersonen ein ausgeprägtes Maß an Selbstmitgefühl auf, zeigen diese zudem eine größere Vergebungsbereitschaft (Enright et al., 1998). Die Fähigkeit vergeben zu können, geht mit konstruktiverem Feedback einher, was bei Mitarbeitenden die Angst vor Fehlern abgebaut und zur psychischen Sicherheit im Team beiträgt.
Auch ein stabiler Selbstwert steht in Zusammenhang mit der Fähigkeit, in herausfordernden Zeiten freundlich und nachsichtig mit sich umzugehen (Neff & Vonk, 2009). Verfügen leitende Personen über einen mitfühlenden Selbstumgang, wird deren Selbstbewertung angemessener. Es steigt die innere Zufriedenheit und die Achtung vor der eigenen Person, wodurch der häufig schädliche soziale Vergleich mit anderen Führungskräften und rivalisierendes Konkurrenzverhalten gesenkt wird.
Selbstmitgefühl korreliert darüber hinaus negativ mit Depressionen, Angst und Grübeln (z.B. Leary, Tate, Adams, Batts Allen & Hancock, 2007). Psychischem Stress und Erschöpfung wird entgegengewirkt, wenn Leader eine heilsame und wohlwollende Haltung im Umgang mit Fehlern, Kritik und Herausforderungen an den Tag legen.
Zen-Meditation stärkt das Selbstmitgefühl
Obgleich die Grundlagen des Selbstmitgefühls bereits seit Jahrhunderten in der östlichen Philosophie und dem Buddhismus verankert sind, scheint dieser Ansatz im Westen doch relativ neu. Eine Möglichkeit das Selbstmitgefühl im Alltag zu stärken, stellt regelmäßige Meditation, wie sie auf den Zen-Leadership Seminaren praktiziert wird, dar. In der Sitzmeditation – dem Zazen – werden alle drei Kernkomponenten einer Haltung, die durch Selbstmitgefühl geprägt ist, angesprochen: Annehmen was ist, sich mit allem verbunden fühlen, freundlich mit sich umgehen. Eine weitere im Zen häufig praktizierte Übung, um sich selbst Zuwendung und Einfühlsamkeit zu schenken, ist die sog. Metta-Meditation. Hierbei nehmen Meditierende Kontakt zu ihren Herzensqualitäten auf und kultivieren bewusst eine liebevolle und gütige Haltung sich selbst, anderen Menschen und allen Wesen gegenüber. Diese Meditationsform wird derzeit im Bereich der Emotionsforschung auch im Westen untersucht (z.B. Fredrickson, Cohn, Coffey, Rek & Finkel, 2008).
Auf einem Zen Leadership Seminar bekommen die Teilnehmenden demnach neben Vorträgen zu aktuellen Führungsthemen, individuellen Coachings und inspirierenden Gruppenarbeiten, auch die Chance, in die traditionelle Zen-Praxis eintauchen und ganz nebenbei ihr Selbstmitgefühl zu stärken.
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Das Buch von Kristin Neff ist zu erwerben unter: https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Selbstmitgefuehl/Kristin-Neff/Kailash/e406238.rhd
Beitrag von Laura Joswig (Zen Leadership Trainerin, Ergotherapeutin, Coach und Trainerin für mentale Gesundheit und positive Kommunikation)
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