Im ersten Moment, in dem man von Kreativität hört, denkt man an eine kreative Kindergartengruppe: wir basteln mit Farben und ich bin ganz kreativ usw…
Das bedeutet, dass das Kreative irgendwo in einer künstlerischen Dimension verortet ist. Aber wenn jemand an eine Tafel geht, die weiß ist, so wie vor über 100 Jahren und E=m*c2 darauf schreibt, dann ist es genau die gleiche Kreativität. Und diese hat den gleichen Impact wie Brunelleschis Kathedrale in Florenz oder das Abendmahl oder was auch immer wir so im Kopf haben … Rodin, Nietzsche Büste, beispielsweise.
Kreativität ist der Zustand aus dem Nichts Etwas zu erschaffen
Natürlich, in der postmodernen Gesellschaft, die eine vollkommene Abwesenheit von Orientierung, Wille und Weisheit ist, ist Kreativität auch: wie gehe ich kreativ mit schwierigen Situationen um. Oder eine Vase fällt runter und wie bastle ich die Vase kreativ zusammen. Das ist es nicht.
Kreativität ist tabula rasa. Es ist die weiße Wand. Es ist das Nichts. Und aus diesem Nichts entsteht Etwas. Der erste Teil zu dieser Kreativität ist sehr harte Arbeit.
Wenn wir eine Kamera haben, eine EOS M3 meinetwegen, und ich bin jetzt kreativ, dann scheitert es vielleicht daran, dass ich nicht weiß, welchen Knopf ich drücken muss. Oder wie ich z.B. die Tiefenschärfe auslöse. Das heißt, selbst wenn ich einen Kursus mache, wirst du trotzdem immer die crasseren Bilder machen, weil du Erfahrung hast und eben alles zusammenkommt.
Das Gleiche gilt auch für Unternehmen, für Selbstständigkeit, für Wissenschaft. Es gilt auch in der Programmierung. Ich muss in diesem Sujet gut sein. Ich muss es so gut können, dass ich darüber nicht mehr nachdenke. Das ist der entscheidende Punkt.
Der Himmel Erde Kreislauf
Im Himmel Erde Kreislauf, den ich im Buch „Die Linie im Chaos“ beschreibe, gibt es verschiedene Aspekte und der eine Aspekt ist Konzentration, Schaffenskraft, Anstrengung.
Schaffens-Kraft – das Wort Kraft rot unterstrichen. Die Reihenfolge, wie hier erwähnt, ist nicht zwingend, die kann sich ändern.
Der erste Schritt ist immer die Pflicht und aus dieser Pflicht heraus, kann die Fähigkeit der Kür entstehen. Ich kann, wenn ich Geige spiele, und vergesse, dass ich Geige spiele, ein Mozart Violinkonzert in eine Kadenz bringen. Und die Kadenz spielen, die Mozart vorgibt. Das kann ich machen.
Wenn ich gut bin, dann bringe ich noch etwas von mir hinein. Wenn ich programmieren kann, so gut, dass ich es schaffe eine Metta-Ebene darüber zu sehen, zu spüren, dann kann ich plötzlich Abkürzungen sehen, die vorher keiner gesehen hat. Das gilt für alle Bereiche.
Wenn du deine Kamera benutzt, dann darfst du nicht darüber nachdenken, was du da tust. Sie ist ein Teil wie bei einem Künstler ein Pinsel. Er darf sich nicht mehr überlegen: wie tusche ich jetzt das Ocker an? Und wie viel Leinöl tue ich da rein? Oder wieviel Harzöl? Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Einstein sagt: Intuition ist 90 % Transpiration (Schwitzen) und 10% Inspiration.
Natürlich ist es hier unser Job, über die Inspiration zu reden. Aber es reicht jetzt nicht, von meiner Seite aus zu sagen: Ja, Kreativität ist viel Arbeit und macht euren Job und dann kommt ihr wieder. Sondern es ist auch noch die Art und Weise wie wir es tun. Das heißt, hier beginnt ein weiterer wichtiger Aspekt.
Der Punkt ist, dass wir in unserer Zivilisation unglaublich weit sind, was Forschung angeht oder was den arbeitenden Kontext angeht. Und wenn wir uns mit dem letzten Jahrhundert, dem Anfang des letzten Jahrhunderts vergleichen, haben wir einen großen Mangel, bis vor Kurzem, es ändert sich jetzt gerade, an Kreativität und an Quantensprüngen gehabt. Wir haben fast achtzig Jahre wenig große Sprünge gehabt. In Silicon Valley ändern sich einige Dinge. Es hat aber auch damit zu tun, was da los ist.
Von der Konzentration in die Intuition
Früher zur Zeit der Kopenhagener Konferenz, Pauli, Bohr, Sommerfeld, Einstein, usw. Carl Friedrich von Weizsäcker, den ich kennengerlernt habe und auch mit ihm darüber geredet habe, gab es auch eine Dimension, in der Menschen das Feld der Konzentration verstanden haben. Nämlich dass man ab einem bestimmter Punkt, wenn man das beherrscht, in eine sinnlose, nicht zielgerichtete Übung oder Art und Weise gehen muss, um aus der Enge der Konzentration und der Übung herauszukommen.
Das heißt, ich mache Dinge, die erstmal nichts bringen. Und diese nächste Stufe, die dieser Übergang ist von Transpiration zu Inspiration, ist für uns sehr schwer, weil sie mit Anhalten und Loslassen zu tun hat.
Der Kernsatz ist: Kreativität entsteht … es ist fast ein Koan, ihr müsst ein Wissen ansammeln, ihr müsst Know-how ansammeln. Wir müssen so lange trainieren, wie es überhaupt geht. Wir müssen Führungserfahrung, Vertriebserfahrung, usw. sammeln und machen und tun. Und jetzt geht es darum, zu erkennen, wenn ich das mache, genau das Gegenteil zu tun.
Kreativität findet in einem Feld des Nichtwissens statt
Das ist der nächste große Schlüssel. Es findet nicht in der Rumpelkammer statt, es findet nicht in der Struktur statt, es findet nicht in dem System statt: es gibt Regeln für Programmierung und die sind noch in tausend Jahren so, wenn es nicht jemanden gibt, der das innerlich löscht.
Das IPhone von Steve Jobs ist nicht entstanden, weil er ein Telefon genommen hat, das Musik abspielen kann, sondern weil er IPods gebaut hat, die krass waren. Weil er die Nachfolge geschafft hat von Morita san, Sony, nämlich dem Walkman. Das war ein krasses Ding.
Es hat ihn inspiriert und er hat das Ding so klein gebaut. Daraus ist ihm die Idee gekommen, ich will ein IPod bauen, mit dem ich auch telefonieren und noch andere tausend Sachen machen kann.
So würde niemand denken. Der Ansatz ist ein anderer. Das liegt daran, dass er Computer gebaut hat und kein Telefon. Und diese Dimension, als er gesagt hat, ich baue ein Gerät, dass die Welt verändern wird, war eine Dimension, die wir uns heute nicht vorstellen können, dass er sich das damals hätte vorstellen können.
Das ist in einem Feld gewesen von Etwas, was es nicht gab. Es gab kein IPhone, es gab diese Idee nicht. Es gibt auch kein, noch, für uns alle, Quantum-Computing, kein Blockchain. Und eigentlich gibt es auch noch keine KI, Artificial Intelligence, Künstliche Intelligenz. Das ist der Punkt.
Loslassen und mit der Zen Übung in die offene Weite gehen?
Jetzt gehen wir den nächsten Schritt. In dieser Menge meines, in meiner Pflicht, wirklich gemeisterten oder fast gemeisterten Wissens und Werkzeugen, gehen wir dann diesen wesentlichen Schritt in das Nichtwissen, in diese offene Weite mit der Zen Übung.
Es ist nicht abstrakt gemeint und nicht intellektuell. Sondern ich gehe in die Übung. Gerade dann, wenn ich in einer Arbeit, oder an einem Buch bin oder einem Vortrag, wo ich weiß, da fehlt was, da will ich was reinhaben. Dann werde ich drei/vier Wochen daran arbeiten und dann muss ich gucken, dass ich es eine Woche zum Ruhen bringe. Ich mach das bei all meinen Büchern.
Ich schreibe die Bücher nicht bis zum letzten Abschlusstermin. Ich schreibe und lasse es ruhen. Ich habe jetzt das Buch: Die Kunst der Versenkung im Zen und Yoga, das habe ich auf Eis gelegt, weil mir noch etwas fehlt und ich noch nicht weiß, was. Es ist zur Hälfte fertig, lesbar, durchgeschrieben schon.
Das zweite Buch an dem ich schreibe: Digitale Erleuchtung, Elite für alle! Das ist ein krasser Titel und wird auch ein krasses Buch. Das liegt halb auf Eis. Nach dem Sommer muss ich das hart angehen.
Also, das sind Phasen, wo ich auch versuche, nicht darüber weiter nachzudenken in der Linearität, sondern sie zu unterbrechen. Und dann kann es sein, dass ich morgens um drei Uhr aufwache, und dann muss ich wirklich auch aufstehen.
Ich habe manchmal Situationen, letztens, bin ich in der Seilbahn hochgefahren und plötzlich habe ich im IPhone auf Notizen dieses Buch geschrieben. Und meine Partnerin war genervt, weil ich 1,5 Stunden in diese kleine IPhone Notizen geschrieben habe, aber da hält mich auch dann niemand von ab. Diese beiden Aspekte, die sind sehr wichtig:
Aus dem Nichtdenken in die offene Weite
Der erste Aspekt ist die Meditation von Hara, Fokus. Schaffenskraft. Schaffenskraft setzt Willenskraft voraus. Und Hara ist die Übung für Willenskraft. Der zweite Teil ist eine komplett andere Übung: die Übung der offenen Weite.
Aus dem Nichtdenken in die offene Weite. Und diese Übung zu üben, bringt die Voraussetzung, sie in einem solchen Zustand zu üben: du hast eine neue Idee und du weißt gar nicht welche, aber du weißt, dass da was ist. Ihr spürt das. Ich habe einen Freund, der programmiert und schon allen möglichen Quatsch gemacht hat. Er war 17 Jahre alt und hat ein Programm gemacht und ist mit 21 Professor geworden. Und so Kram…
Man merkt, da ist eine Disharmonie in irgendetwas, aber ihr fasst es nicht, könnt es nicht sehen, weil die Regel ja da ist. Die Disharmonie ist die Regel. Ihr spürt es nur deshalb, weil ihr eine Ahnung davon habt, das dort etwas darüber hinweg geht. Und das kann man trainieren. Das ist das Feld in dem wir uns hier bewegen. Und daraus entsteht dann Kreativität.
Kreativität ist (fast) Extase
Das ist unglaublich, das Kreative selber ist fast Extase, es ist sogar Essenz. Richtig einen Kick zu haben. Das Buch „Das Leben ist ein Geschenk“ heißt eigentlich „Wille und Weisheit“. Der Verlag hat mir diesen Titel sehr nahe gelegt, was mich ein bisschen in die Esoterik-Ecke drängt. Aber das Buch ist eher, sagen wir mal „MeinPapaliesteigentlichNietzsche.de“. Da habe ich Nächte gesessen und in einem Flash geschrieben. Das ist total toll.
Oder ich habe Freunde, die ein Unternehmen haben und unglaublich innovative Geschichten machen.
Im Moment ist eine Zeit, es ist ein bisschen Goldgräberzeit. Es ist wie bei Kaiser Wilhelm im Moment. Die Post geht ab. Das ist unglaublich. Wir sprechen noch gar nicht von IT. Wenn man da hindenkt, das ist ja „unlimited“. Das ist ja wie 1920, was im Moment geht. Das ist schon interessant. Aber es ist nicht nur dort so…
Ich wollte heute sehr pragmatisch sein. Das heißt, die Übung Hara und die Übung offene Weite – damit gehen wir jetzt in die Übung.
Kreativität beginnt, wie wir von Zen Meister Hinnerk Polenski gehört haben, in einem großen weiten offenes Feld, zu dem ein Weg führt.
In unserem Seminarmodul „Creative Spaces – Raum für neue Perspektiven“ öffnen wir diesen Raum und so zeigen sich neue Potentiale, Wege, Möglichkeiten und Schaffenskraft.
Zen-Meister Hinnerk Syobu Polenski
im Gespräch mit Teilnehmern des Zen Leadership Seminars „Creative Spaces“
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