Seit drei Jahren gibt eine Krise der anderen die Klinke in die Hand. Viele Menschen leben dadurch in einer Daueranspannung. Erstes Gebot ist jetzt: Druck ablassen!
Daueralarmierung
Was wir seit gut drei Jahren erleben, ist eine Aneinanderreihung von Krisen, die kaum überschaubar sind. Teilweise überlappen sie sich: Pandemie, Klimakrise, Krieg in Europa, Energiekrise, Finanzkrise. Dabei ist die mediale Berichterstattung geprägt von Berichten über das, was tatsächlich passiert, aber auch von Einschätzungen und Befürchtungen, was passieren könnte. Hinzu kommt, dass man als Einzelperson nur begrenzt zur Lösung der Krisen beitragen kann. Es gibt keinen individuellen Masterplan, der die jeweilige Krise durch mein persönliches Verhalten zu einem vorhersehbaren Zeitpunkt beenden kann und wird. Viele Menschen erleben eine Hilflosigkeit angesichts dieser Situation und geraten dadurch in eine Daueranspannung, die sie bemerken oder auch nicht.
Die Rolle des vegetativen Nervensystems
Krisen und Hilflosigkeit führen dazu, dass wir die Situation als feindselig empfinden, in der wir uns befinden. Dadurch wird das vegetative Nervensystem in einen Alarmzustand versetzt. Das ist der Zustand, in dem wir kampf- oder fluchtbereit sind, im schlimmsten Fall in eine Art Todesstarre versetzt werden. Das vegetative Nervensystem arbeitet autonom. Das bedeutet, es ist von unserem Verstand abgekoppelt. Auch wenn wir vielleicht nicht direkt von einer Krise betroffen sind, wirkt sich die Nachricht über eine Krise oder die Befürchtung, dass eine Krise uns betreffen könnte, alarmierend aus. So funktionieren Filme. Natürlich weiß unser Verstand, dass es sich nur um Fiktion handelt. Dennoch spannen wir unsere Muskulatur kampfbereit an, bekommen eine Gänsehaut, wenn wir einen Horrorfilm sehen. Das vegetative oder autonome Nervensystem übernimmt das Steuer. Wir sind unter Druck.
„Unter Druck“ – was bedeutet das?
Im Kampf- oder Fluchtmodus ist die Muskulatur angespannt, die wir für beide Aktionen benötigen würden. Die Schultern sind hochgezogen, die Fäuste geballt, die Beine sprungbereit, der Körper gebeugt, um die lebenswichtigen Organe zu schützen. Herz und Kreislauf sind aktiviert. Die Wahrnehmung ist fokussiert auf die Bedrohung. Verstand, Intelligenz, kognitive und kreative Fähigkeiten sind unterdrückt. Wir sind gleichsam mit Scheuklappen unterwegs.
Im sozialen Miteinander sind wir in diesem Zustand gereizt, beschleunigt, aggressiv. Wir fallen in archaische Muster zurück. Im Alltag lässt sich dies gerade sehr gut beobachten. Dabei halten wir uns zunächst in der Selbstwahrnehmung für besonders agil, umtriebig, als sei der Knoten geplatzt. Dies ist eine Illusion. „Unter Druck“ verlieren wir mehr und mehr den Kontakt zu uns selbst. Wir spüren unseren Körper nicht mehr, nur noch, wenn er sich energisch zu Wort meldet. Im Kampf- oder Fluchtmodus wäre es auch hinderlich, kleinere Verletzungen zu spüren. In archaischen Situationen ist dies durchaus erwünscht, weil es das Überleben sichert. Hält dieser Zustand jedoch nur lange genug an, erschöpfen sich unsere Ressourcen. Unsere Energie schwindet, wir ziehen uns zurück, vermeiden Hobbies und Geselligkeit und gute Gewohnheiten, wie Meditation, immer mehr und verlieren dadurch alles, was uns noch stärken könnte. Dies ist der Eintritt in eine unheilsame Abwärtsspirale.
Druck ablassen
In der Meditation, besonders in der Haltung des Zazen, wird der Kontakt zu unserem Körper wieder hergestellt. Erst im Anhalten wird der Raum frei, unsere Anspannung wahrzunehmen. Wir spüren den Druck in uns, wie verbeult oder verkantet wir in der Meditation sitzen. Nur was wir wahrnehmen und annehmen, können wir auch loslassen. Erst durch das Loslassen öffnet sich die Tür zu den Teilen des vegetativen Nervensystems, die der Daueralarmierung entgegen wirken und die Regeneration anstoßen. Dies gelingt noch einmal besser, wenn die Meditation, insbesondere das Zazen, durch eine individuell angepasste Übung verfeinert wurde. Der eine Teil der Alarmierung wird ja durch externe Faktoren ausgelöst, der andere Teil durch unsere individuellen Reaktionsmuster. Erst wenn wir unseren individuellen Anteil am Geschehen mit berücksichtigen, erlangen wir die Fähigkeit zum Druckablassen, das Druckventil zu öffnen.
Wenn sich das Druckventil nicht öffnet
Auch auf dem Zen-Weg Erfahrene kennen es, dass sie Zazen praktizieren, aber das Druckventil klemmt. Zwar kommt immer noch etwas Energie rein, die Unruhe schwindet ein wenig, aber so richtig rund läuft es nicht mehr. In einer mehrjährigen komplexen Krisensituation und Daueralarmierung können die Kompensationsmöglichkeiten und die Fähigkeiten zur Selbststeuerung ermüden. Jetzt einfach so die Dosis des Zazen zu erhöhen, ist nicht geeignet, das Druckventil wieder zu öffnen. Das macht alles nur schlimmer. Jetzt braucht es eine leichte Korrektur der Übung.
Eine Übung zu erlernen oder zu korrigieren geht besonders gut auf einem Zen-Seminar. Besonders in der Daueralarmierung ist es häufig notwendig, erst einmal Druck herauszunehmen, um die Fähigkeit zur Meditation wieder herzustellen. Dann öffnet sich das Druckventil wieder geschmeidig und der Weg wird frei. Unsere Fähigkeiten zur Regeneration erwachen wieder. Wir werfen die Scheuklappen fort und sehen wieder Lösungen, die wir zuvor gar nicht mehr wahrgenommen haben.
Termine: https://zen-leadership.de/zen-leadership-way/stressbalance-und-vitale-energie/
Beitrag von Dr. med. Michael Neuber
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