Häufig nehmen wir im Alltag Stress überhaupt nicht wahr und werden so Opfer des Geschehens, ohne es steuern zu können.
Dr. Michel Neuber, Trainer im Zen Leadership und Betriebsarzt des WDR erläutert für uns, welche Mechanismen ablaufen und wie wir mit Stress angemessen umgehen können.
Wie ist die Ausgangssituation?
Eines unserer Gebäude wird etagenweise saniert. Unter dem Putz mancher Wände befindet sich asbesthaltiger Klebstoff. Mit Abschlagen des Putzes wird Asbest frei. Die Arbeiten finden unter den üblichen Schutzmaßnahmen statt. Dennoch ist aus dem Fahrstuhlschacht in einer noch genutzten Etage weißer Staub ausgetreten. Ich war an dem Nachmittag, als dies geschah, außer Haus.
Am nächsten Morgen fahre ich mit dem Auto in die Kölner Innenstadt in meine Betriebsarztpraxis. Wie üblich stehe ich im Stau und werde erst kurz vor dem ersten Termin in der Praxis ankommen. Noch 15 Minuten. Das Telefon geht. Über die Freisprechanlage gehe ich ran. Die möglicherweise Freisetzung von Asbest wird mir berichtet. Ich werde gebeten, an einer spontan einberufenen Abteilungsversammlung der möglicherweise exponierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilzunehmen. Messergebnisse liegen noch nicht vor.
Wodurch entsteht jetzt Stress?
Eine Gedankenfolge beginnt schlagartig: Asbest ist krebserregend, ein echter Killer. Ich sehe mich als Betriebsarzt inmitten einer von Angst und Panik erfüllten Abteilungsversammlung aufgebrachten Menschen gegenüber und soll denen etwas Kluges sagen. Dieses Bild wechselt sich ab mit dem Wartezimmer der Praxis, in dem die KollegInnen mit Termin auf mich warten. Die Energie steigt auf. Die Atmung beschleunigt sich. Nacken und Schulter verspannen sich. Ich bin im Coping-Modus: Warum ich? Warum jetzt?
Welche Gefahr besteht jetzt?
Ich bin in diesem Augenblick im Stress, in einer labilen Situation. Der Körper sitzt im Auto. Die Gedanken und damit meine Aufmerksamkeit und Energie sind in der Praxis und einem Besprechungsraum und weder im Auto noch im Verkehr. Die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu verursachen, ist hoch – und damit weder rechtzeitig in die Praxis noch in die Abteilungsversammlung zu kommen. Dies würde alles nur noch schlimmer machen.
Wie ist die Lösung?
Da ich durch regelmäßiges Zen Training den Eintritt in den Coping-Modus wahrnehme und dieser nicht unbewusst bleibt, werde ich nicht Opfer dieser natürlichen Stressreaktion. Ich habe die Möglichkeit, den Stress zu transformieren. Mit einigen tiefen, absichtslosen Ausatemzügen lenke ich die Energie ins Hara (Bauchzentrum). Die Gedankenfolge reißt ab. Körper, Aufmerksamkeit und Energie sind wieder im Auto. Ich rufe in der Praxis an und teile mit, dass ich zunächst in die Abteilungsversammlung gehe. Verschiebbare Termine sollen umgelegt werden. Ohne Unfall erreiche ich die Tiefgarage im Betrieb. Den Weg von der Tiefgarage in den Besprechungsraum lege ich im Kinhin (Gehmeditation im Zen) zurück, natürlich ohne die dabei typische Handhaltung. Geerdet und mit freiem Kopf betrete ich den Raum, der mit aufgeregten Menschen gefüllt ist.
Das Messergebnis liegt inzwischen vor: Kein Asbest. Ich fühle, die Menschen bleiben erregt. Denn die Gedankenspiralen in ihnen drehen sich noch. Es hätte ja Asbest sein können… Ich greife dieses auf. Wir sprechen über Asbest, Asbestvorkommen und –gefahren im Allgemeinen und ich verspreche, gemeinsam mit den für den Bau im Betrieb Verantwortlichen dafür Sorge zu tragen, dass es im weiteren Verlauf nicht wieder zu unkontrollierten Staubexpositionen kommt. Sie vertrauen mir. Zugegeben erleichtert gehe ich wieder im abgeschwächten Kinhin in meine Praxis und beginne dort verspätet meine Sprechstunde, Patient für Patient, jeder Augenblick neu.
Mit Stress umzugehen ist keine Zauberei, sondern ein Weg – ein ganz wunderbarer Weg. Ich freue mich, Führungskräfte auf unserem Zen Leadership Seminar „Releasing the Pressure – Stressbalance und vitale Energie“ dabei zu begleiten und unterstützen zu dürfen. Mit Leichtigkeit – Schritt für Schritt.
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